Bereits zum 12ten Mal hat SwissQ im 2020 den Trends und Benchmarks Report publiziert. Die Studie beleuchtet verschiedene Aspekte, die zur erfolgreichen Entwicklung digitaler Produkte beitragen, basierend auf einer Umfrage an der fast 500 Personen aus unterschiedlichen Firmen und Branchen teilgenommen haben. Aufgeteilt in die Themen Transformation, Agile, Product Engineering und Testing enthält er wieder interessante Einblicke, was die Schweizer Unternehmen in diesen Disziplinen bewegt.
Die Umfrage liefert auch dieses Jahr wieder interessante Erkenntnisse zum Stand der Agilität und zum Fortschritt in organisatorischen Transformationen hin zu eben diesem Ziel. Beim Versuch die Ergebnisse zu interpretieren, wurden viele meiner Beobachtungen aus agilen Transformationen in verschiedenen Unternehmen bestätigt. Es fielen mir aber auch ein paar spannende Widersprüche auf, die aufzeigen, dass wir doch noch einen langen Weg vor uns haben, bis wir die Früchte der erheblichen Investitionen in diesen Veränderungsprozessen ernten können: adaptive Unternehmen, die in der Lage sind, Veränderungen am Markt frühzeitig zu erkennen und dann schnell zu (re)agieren und sich anzupassen, ohne gleich die ganze Organisation umbauen zu müssen. Der Lock-down ausgelöst durch die Corona-Pandemie hat uns gerade vor Augen geführt, wie wichtig genau diese Fähigkeit im Umfeld disruptiver Veränderungen ist.
Wir müssen in der Transformation den Fokus richtig setzen!
Während die meisten Teilnehmer angeben, dass die Fähigkeit mit ändernden Prioritäten umgehen zu können, das wichtigste Ziel agiler Transformationen ist, wird andererseits der Fokus dieses Jahr noch stärker auf Prozesse und Methoden gesetzt als letztes Jahr und erreicht fast 40%. Aber sind Prozesse und Methoden wirklich ausschlaggebend, um das Ziel der unternehmerischen Agilität zu erreichen? Oder sind nicht vielmehr organisatorische Strukturen, Leadership und Mitarbeiter dafür entscheidend? Der dafür nötige Fokus agiler Transformationen auf Kultur und Führung sowie auf Menschen und Fähigkeiten ist leider deutlich zurückgegangen. Man sucht wohl immer noch nach der „Silver Bullet“-Methode. Wir müssen uns davon lösen, werden uns doch Prozesse und Methoden nicht agiler machen, sondern nur adaptive Strukturen, befähigte Mitarbeiter und ein kontext- und richtungsgebendes Führungsverhalten. Befähigung der Mitarbeiter benötigt neben dem Können auch das Dürfen – doch die Dezentralisierung der Entscheidungsfindung scheint schwierig zu sein – immerhin fast 15% haben aufgegeben.

Und die Zahlen bestätigen auch erneut, dass bestehende Unternehmenskultur und Hierarchien mit Abstand die grössten Hindernisse zu mehr Agilität sind. Es ist deshalb bedenklich, dass Agilität immer noch hauptsächlich auf Team- oder Bereichs-Ebene eingeführt wird und lediglich gut 40% angeben, dass Agilität auch auf Unternehmensebene aktuell angegangen wird. Hierhin muss der Fokus gesetzt werden! Vielleicht ist das nämlich auch ein Grund, dass nur knapp die Hälfte der Teilnehmer zufrieden oder sehr zufrieden sind mit Agile. Denn auf die Frage was verbessert werden könnte, stehen kultureller Wandel, Leadership Kultur und Engagement sowie breitere Anwendung in der Organisation ganz oben in der Liste der Antworten.

Immerhin geben ca 80% an, das Portfolio Management agil zu gestalten oder es zumindest geplant zu haben. Das ist sicherlich ein wichtiger Hebel hin zu mehr Business Agilität und verbesserter Lieferfähigkeit. Die ersten Erfolge sind hier auch in meiner Erfahrung schon sichtbar, aber auch hier gibt es in den meisten Unternehmen noch viel zu tun.
Wir müssen das Business ins Boot holen!
Der zweite Widerspruch der sich mir aufdrängt: wenn gemäss der Umfrage die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Business und IT eine der wichtigsten Zielsetzungen von agilen Transformationen ist, wieso geben nur 15% der Befragten an, dass Agilität auch im Business mehrheitlich eingeführt wird? Fehlen hier passende Konzepte und Modelle?

Natürlich richten sich viele agile Modelle und Praktiken in erster Linie an die (IT) Produktentwicklung und haben sich dort mittlerweile gut etabliert. Die zugrundeliegenden Werte und Prinzipien wie etwa Transparenz, Fokus, Flow und Fast Feedback können aber auch im Fachbereich angewandt werden. Und mit etwas Kreativität können die bekannten Modelle – Scrum oder Kanban beispielsweise – auch auf die Gegebenheiten in den Fachbereichen adaptiert werden. Scrum und/oder Kanban können zum Beispiel auch für ein Marketing oder Sales Team nützlich sein, die Marketing- oder Sales-Kampagnen vorbereiten und durchführen. Man muss vielleicht die Praktiken anpassen – aber solange man die Prinzipien nicht verletzt, ist das ja durchaus im Sinne von Agile und Fast Learning. Konzepte wie Agile HR und Agile Marketing haben es in die einschlägigen Management Medien wie Harvard Business Review oder Forbes geschafft, allerdings sind sie noch weit davon weg, sich zu etablieren wie Scrum, Kanban oder SAFe in der Produktentwicklung. Solange das aber nicht passiert, wird Agilität auf die Entwicklung beschränkt bleiben und nicht auf die gesamte Wertschöpfung Anwendung finden um das versprochene Potenzial zu entfalten.
Wir müssen bessere Change Manager werden!
Die Umfrage zeigt, dass die grosse Mehrheit von mehr als 75% zwar zufrieden oder gar sehr zufrieden sind mit der neuen Arbeitsweise, aber die Zufriedenheit mit der agilen Transformation noch zu wünschen übrig lässt. Nur ca. 45% geben an, damit zufrieden oder sehr zufrieden zu sein. Als grösstes Hindernis für Agilität werden wie bereits erwähnt bestehende Hierarchien und Unternehmenskultur bezeichnet, und dieses steht schon seit Jahren ganz oben auf der Liste. Eine Betrachtung finde ich hierzu erwähnenswert: die Daten zeigen signifikante Unterschiede zwischen dem C-Level Management und dem Middle Management/Durchschnitt. Der C-Level sieht zwar auch die Unternehmenskultur und -hierarchien als grösstes Hindernis an, jedoch deutlich weniger ausgeprägt als der Durchschnitt. Dafür werden im C-Level Defizite im agile Know-How und in der Einbindung der Kunden gesehen, wo der Durchschnitt und das Middle Management kein signifikantes Problem erkennt. Und während die meisten ein Problem mit den übergreifenden Prozessen sehen, ist das im Top-Management fast kein Thema.

Hier gibt es also eine signifikant unterschiedliche Wahrnehmung. Liegt es daran, dass das Management nicht ausreichend in die Transformation eingebunden wird? Oder ist es das oft zitierte Phänomen: Agile Transformation ist was für die Entwicklung, im Management können wir ja so weiter machen wie bisher. Dabei ist doch John Kotter beileibe nicht der Einzige, der betont, dass die Systeme, Strukturen und Unternehmenskulturen des letzten Jahrhunderts nicht geeignet sind den heutigen Anforderungen zu begegnen (John P. Kotter – XLR8). Und um solche grundlegenden Systemänderungen zu ermöglichen, brauchen wir Manager die als Change Agents in der Veränderung vorangehen und neues Verhalten vorleben. Und wir dürfen in der Transformation nicht (nur) auf die Teams fokussieren. Scrum oder Kanban einzuführen ist zwar nicht trivial, aber die meisten schaffen das schon. Es sind die übergreifenden Prozesse die den Unterschied machen zwischen einem Unternehmen mit agilen Teams und einem agilen Unternehmen. Aber dafür müssen Veränderungen am System durchgeführt werden und das ist die Befugnis und die Verantwortung des Managements.
Change Vorhaben müssen also ganzheitlich angegangen werden. Interdisziplinäre Change Teams, mit Vertretern aus unterschiedlichen Disziplinen und Hierarchien, die die Veränderung vorantreiben, könnten dabei helfen. Und ein inkrementelles, Feedback-basiertes Vorgehen wie Lean Change Management würde die Komplexität eines solchen Vorhabens adressieren, die Beteiligten frühzeitig mit einbinden und Anpassungen basierend auf fast Feedback ermöglichen. Daran müssen wir arbeiten, wenn wir sicherstellen wollen, dass Change Vorhaben – und das sind Agile Transformationen in allererster Linie – erfolgreicher sind. Es reicht nicht, dass wir uns einig sind, alle im selben Boot zu sitzen. Wir müssen auch alle in die gleiche Richtung rudern und immer wieder unseren Kurs überprüfen und ändern wenn nötig!
Fazit
Wenn Business Agilität als organisatorische Fähigkeit verstanden wird, schnell und flexibel auf Veränderungen (re)agieren zu können, so müssen wir zukünftig in den agilen Transformationen verstärkt auf organisatorische Strukturen, Führungsverhalten und Mitarbeiterbefähigung fokussieren. Und wir müssen Agile Arbeitsweisen aus der IT-Nische herausholen und in allen relevanten Fachbereiche ausbreiten. Und wir sollten unsere Fähigkeiten verbessern, Transformationen erfolgreich zu gestalten – das sehe ich als eine der wichtigsten Kompetenzen adaptiver Unternehmen an. Denn die nächste Krise kommt bestimmt und obwohl sich viele nach dem Corona-Lockdown ein Back-To-Normal wünschen, sollten wir vielmehr aus den Erfahrungen lernen und die vielerorts gezeigte Anpassungsfähigkeit nicht durch veraltete Strukturen wieder ersticken. Ja, wir sind auf dem Weg, aber es gibt noch viel zu tun – es ist es wert!
Wie kann SwissQ Ihr Unternehmen unterstützen?
Dies sind nur einige der spannenden Ergebnisse unseres jährlichen Trends & Benchmark Reports! Wenn Sie interessiert sind, die weiteren Ergebnisse nicht nur zum Thema Agile und Transformation zu hören oder auch zu lesen, würden wir uns über eine Kontaktaufnahme freuen. Den Report können Sie unter report.swissq.it herunterladen. Sie möchten gleich loslegen? Wir haben seit fast 15 Jahren Erfahrung in der Beratung, von Agilität über Product Engineering bis zu Testing und DevOps. Dank der breiten Erfahrung unserer Kollegen können wir Ihnen auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Services bieten. Wir unterstützen Sie gerne auf Ihrem Weg!
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